Ein Blog von der Studienreise nach Polen

Erfahrungen – Entdeckungen – Fragen


Fotos von der Reise

Magda Krön, am 6.6.2023:

Fahrt nach Gniezno/Gnesen, die Wiege des polnischen Staates und älteste Diözese Polens.

Wir starten mit einer Audienz beim Erzbischof Vojciech Polak, Primas Polens, in seiner schönen Residenz. Der Erzbischof geht auf unsere Frage nach den Verknüpfungen zwischen Kirche und Politik sehr offen ein. Die offizielle Linie der polnischen Kirche betont die Neutralität in Sachen Politik, vermutlich folgt die Praxis in den Pfarren und Institutionen nicht immer diesen Regeln.
Anschließend treffen wir Teresa Kowalczyk, die ebenfalls bei Paul Zulehner in Wien studierte. Sie erläutert uns die Situation des Religionsunterrichtes in Polen, den es in den Schulen überhaupt erst seit der Wende gibt. Jetzt versucht man angesichts der sich beschleunigenden Säkularisierung, den „schulischen Religionsunterricht zu entkirchlichen“, um auch Andersdenkende einzubeziehen. Und andererseits bemüht man sich die „Pfarrkathehese zu entschulen“, also stärker auf die Vermittlung religiöser Erfahrungen zu setzen.

Eine Führung durch die Kathedrale von Gniezno und zu dem wunderbaren Bronzetor aus dem 12. Jahrhundert rundet diesen Tag und unseren Aufenthalt in Polen ab.

Wir haben den Eindruck, ein tieferes Verständnis für die Spannungen, die diesen doch relativ jungen Staat kennzeichnen, gewonnen zu haben. Jedenfalls aber sind wir vielen beeindruckenden und authentischen Persönlichkeiten begegnet.

Magda Krön, am 5.6.2023:

Poznań: Gespräche und Sozialprojekte

Wir treffen Vertreter bzw. eine Vertreterin der Adam-Mickiewicz Universität zu einem Gespräch über Gesellschaft – Kirche – Politik in Polen. Das Gespräch moderiert Prof. Mieczyslaw Polak, der in Wien bei Paul Zulehner studiert hat.

Joanna Kubaszczyk, Professorin für Deutsche Sprache betont die Bedeutung der Jugendarbeit. Als Beispiel beschreibt sie die Lednica Bewegung, die versucht, über eine neue Sprache, viel Bewegung und Musik die Jugend zu erreichen.
Cezary Kościelniak, Historiker, zeichnet die Beziehung von Kirche und Politik seit der Zeit der preußischen Fremdherrschaft in Polen nach. Seit damals war hier die Kirche der Ort, an dem die polnische Identität bewahrt wurde. Auch in der Zeit des Kommunismus fanden Dissidenten Aufnahme, ganz gleich ob religiös oder atheistisch orientiert.  Die Kirche war der Ort der Freiheit.

Aktuell ist die Situation der Kirche zunehmend schwierig, es gibt immer weniger Priester, Kirchenaustritte und das Desinteresse der Jugend schwächen sie. An sich bemüht sich die Kirchenleitung um politische Neutralität, was aber nur zum Teil gelingt. Die nur unzureichend aufgearbeiteten Skandale in der Kirche führen zu einem Vertrauensverlust.
Galt früher das Wort: Willst du frei sein, geh in die Kirche. Heißt es heute: „Willst du frei sein, geh aus der Kirche“.

Am Nachmittag besuchen wir das Sozialzentrum des Elisabeth-Ordens in Poznan. Hier werden täglich sehr viele Obdachlose, Rentner mit geringem Einkommen und auch ältere Ukrainer*innen verköstigt. Es steht ihnen ein Friseur, rechtliche und medizinische Beratung zur Verfügung. Ein in der großen Stadt Poznań (600.000 Menschen) wichtiges Projekt.

Magda Krön, 4.6.2023:

Fahrt nach Toruń/Thorn und anschließend nach Poznań/Posen

Die Stadt Thorn ist eine der wenigen im 2. Weltkrieg kaum zerstörten Städte. Die Struktur der Altstadt ist bestens erhalten, viele schöne Bürgerhäuser und Kirchen im Stil der Backsteingotik prägen das Stadtbild. Nikolaus Kopernikus, der hier geboren wurde und aufgewachsen ist, wird entsprechend gewürdigt.

Magda Krön, am 3.6.2023 in Warschau:

Die Geschichte der polnischen Juden steht auf dem Programm

Auf dem Weg der Märtyrer nähern wir uns dem bedrückenden Thema. Er führt vom „Umschlagplatz“, einst der Verladebahnhof nach Treblinka, durch ehemalige Ghetto zum POLIN, dem Museum des polnischen Judentums. Das Museum zeichnet dessen 1000-jährige Geschichte nach. Im letzten Teil geht es um die Auslöschung der jüdischen Bevölkerung durch Nazi-Deutschland.
Im Anschluss treffen wir Frau Shoshana Ronen. Sie stammt aus Israel und lehrt seit einigen Jahren hebräische Literatur und jüdische Geistesgeschichte. In ihrem Kurzreferat geht es um den subtilen heutigen Antisemitismus in Polen, der von der derzeitigen rechtskonservativen Regierung geschürt wird. Zum Beispiel werden statt des Begriffs Bürgerschaft heute häufig Worte wie Volk oder Nation verwendet. Gefördert werden wissenschaftliche oder künstlerische Projekte vor allem dann, wenn die die Heldenhaftigkeit und den Opferstatus der polnischen Bevölkerung in den Fokus nehmen.


Magda Krön, Warschau am 2.6.2023:

Im legendären österreichischen Kulturforum in der Ulica Próżna treffen wir Prof. Stanisław Obirek. Über 30 Jahre gehörte er dem Jesuitenorden an, war lange auch ein Hoffnungsträger der Kirche. Nach heftigen Kontroversen um die Ausrichtung der Kirche verließ er 2005 den Orden, lehrt heute an einer staatlichen Universität.

Obirek ortet mehrere Gründe für die aus seiner Sicht negative Entwicklung der katholischen Kirche in den letzten 31 Jahren:

Das Vatikanum II wurde in Polen nie voll rezipiert.

Das Konkordat 1993 schadete sehr und lässt den Eindruck entstehen, dass die Kirche ein Staat im Staat ist.

Die Selig- und Heiligsprechung von Papst Johannes Paul II nach seinem Tod 2005 erzeugte einen Mythos, der jede kritische Auseinandersetzung erstickt, journalistische Recherchen verunmöglicht.

Der Flugzeugabsturz in Smolensk 2010, bei dem 96 Menschen starben, u.a. Lech Kaczynski, der Präsident Polens. Auch hier wurde ein Mythos geschaffen, der kritische Debatten verunmöglicht.

Derzeit werden Gegner der herrschenden Meinung marginalisiert, von den vorwiegend staatlichen Medien nicht mehr wahrgenommen und können nur mehr erschwert publizieren.

Obirek ist nichtsdestotrotz optimistisch. Er glaubt an die Macht der Bildung, die der Vernunft eine Bahn brechen wird. Auch der synodale Weg von Papst Franziskus gibt Hoffnung. Und die im Herbst stattfindenden Wahlen, die, wie Obirek hofft, einen politischen Umschwung bringen werden.

Magda Krön, Warschau am 1.6.2023:

10 Uhr Treffen mit Wojciech Soczewica, dem jungen Direktor General der Auschwitz-Birkenau Foundation.

Eine Fülle interessanter Themen wurden angesprochen:

Die Bedeutung der Auschwitz-Birkenau Foundation, die sich derzeit u.a. mit der Konservierung der hunderttausenden Relikte in Auschwitz-Birkenau befasst. Z.B. werden aktuell 8000 Paar Kinderschuhe konserviert.

Der für den 4. Juni geplante Marsch der Opposition und die derzeitige Twitter-Kampagne dagegen.

Der Versuch der rechten PIS Regierung, ihre Gegner und vor allem Donald Tusk über den Vorwurf einst mit den Russen „kollaboriert“ zu haben, zu diskreditieren bzw. sogar zu kriminalisieren.

Die tiefe Spaltung der Gesellschaft in eine urbane, liberal denkende Gruppierung, an deren Spitze die Bürgerplattform und Donald Tusk steht und eine eher ländliche, rechts-konservative Gruppe, die die regierende PIS unterstützt. Derzeit gibt es keine Persönlichkeit, die von allen anerkannt wird.

Die Klimapolitik Polens, die von Russland bereits weitgehend unabhängig ist, aber stark von der Kohle und teuren Flüssiggasimporten abhängig ist. Sechs Atomkraftwerke sind derzeit in Planung, Erneuerbare derzeit noch sehr schwach gefördert.


15 Uhr Treffen mit P. Leczek Gesiak SJ
im Collegium Bobolanum, einer staatlich anerkannten, aber von den Jesuiten geführten Universität.

Angesprochene Themen:

Die bedeutende Leistung der polnischen Gesellschaft und vor allem der Katholischen Kirche bei der Aufnahme und Versorgung der etwa zwei Millionen Menschen aus der Ukraine, vorwiegend Frauen und Kinder.

Der Wunsch der Kirche, sich politisch neutral zu verhalten. Tatsächlich werde sie aber vielfach von den Parteien, vor allem von der PIS, vereinnahmt.

Die auch in Polen zunehmende Säkularisation, der inzwischen recht schwache Priesternachwuchs, der abnehmende Messbesuch.

Dabei ist das Land kirchlich sehr homogen. Es gibt nur wenige Protestanten, Orthodoxe und sehr wenige Muslime. Die jüdischen Gemeinden sind sehr klein.

Leszek Gesiak spricht sehr offen auch die heiklen Themen des sexuellen Missbrauchs in der Kirche, der noch nicht genügend aufgearbeitet werde, an und auch das Thema der Abtreibung, die derzeit in Polen fast ausnahmslos verboten ist.

Magda Krön, in Warschau am 31.5.2023:

„Die Zugfahrt von Wien nach Warschau mutet fast wie eine Zeitreise an. Im ziemlich altmodischen ÖBB Waggon durchqueren wir in gemächlichem Tempo Tschechien. Die Backsteingebäude an den Bahnhöfen, die Wassertürme und auch die vorbeiziehenden kleinen Orte atmen den Charme vergangener Zeiten.

Beim Zwischenstopp in Kattowitz, kippen wir unvermittelt ins 21. Jahrhundert, in ein supermodernes Bahnhofsgebäude samt Einkaufszentrum, Starbucks und McDonald‘s. Burger und Pizza sind allgegenwärtig.

Per stromlinienförmigen Schnellzug der polnischen Staatsbahnen geht es dann in zwei Stunden nach Warschau. Auch hier empfängt uns ein Bahnhofsviertel aus Stahl und Glas. Der Kulturpalast im sowjetischen Zuckerbäckerstil, ein Geschenk Stalins, verschwindet dahinter beinahe.

Das Abendessen in der „Kamanda Lwowska“ empfängt uns dann sehr üppig-polnisch.
Die Kommentare unserer Reiseführerin Agnieszka Biesiadecka stimmen uns auf die kommenden diskussionsreichen Tage ein.“

Siehe auch:
Fotos
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