Warnung vor möglichem Kipppunkt der liberalen Demokratie
Wien, 3.12.2024
Meldung als PDF: Persönlicher Einsatz für Demokratie und Menschenrechte wichtiger denn je
Tagung „Lebt Österreich Demokratie?“ (29.11.2024)
Eine Tagung über den Zustand der Demokratie in Österreich organisierte der Katholische Akademiker:innenverband im Kardinal König Haus in Wien. Hans Rauscher von „Der Standard“, Joana Radzyner, ehemalige Ostmitteleuropa-Korrespondentin des ORF, und der Religionsphilosoph Hans Schelkshorn von der Universität Wien hielten Vorträge. Letzterer erläuterte die Philosophie, die hinter dem Programm von rechtspopulistischen Parteien wie der FPÖ steckt. Hans Rauscher warnte davor, Rechtspopulisten an die Macht zu lassen, damit sie sich selbst desavouierten, wie immer mehr Menschen in Österreich meinen. „Sie wollen den Rechtsstaat umbauen, und zwar so schnell wie möglich“, warnte der Innenpolitik-Journalist. Joana Radzyner gab einen Überblick über die jahrzehntelangen Demokratisierungs-Bestrebungen in Polen, die immer wieder Rückschläge erfuhren – noch während des kommunistischen Regimes, aber auch danach. Was das für Österreichs Demokratie bedeutet? Es brauche „Magische Momente“, die demokratischen Bestrebungen Stärke verleihen, befand die Osteuropa-Expertin. In der anschließenden Podiums-Diskussion wurde klar, dass es auch junge Menschen braucht, die bereit sind, in die Politik zu gehen. Und dass sich jeder Mensch im eigenen Bereich zivilgesellschaftlich einsetzen kann, was ein wichtiger Teil der Demokratie ist.
Zusammenfassung
„Wien ist seit 10 Tagen Europäische Demokratie-Hauptstadt. Als zweite Stadt, hinter Barcelona, trägt Wien diesen Titel. Auch wenn das Budget um vieles kleiner ist als das einer ,Kulturhauptstadt‘, so zeugt alleine die Einführung dieses Titels davon, wie wichtig und wertvoll der EU die Demokratie ist“, eröffnete Monika Slouk als Moderatorin die heurige Herbsttagung des Katholischen Akademiker:innenverbands Österreichs, die im Kardinal König Haus in Wien stattfand.
Die Präsidentin des KAVÖ Magda Krön wies in ihrer Begrüßung darauf hin, dass heuer die 15. Tagung stattfindet, und sie sich freue, dass diese zu einer Plattform geworden ist, die neben neuen Einsichten und Impulsen auch Austausch und Diskurs ermögliche.
Erstmals begrüßte bei der Veranstaltung auch Regina Petrik, die seit September 2024 als Generalsekretärin der KAÖ tätig ist. Sie dankte dem Akademiker:innenverband dafür, dass die Veranstaltungen immer „am Puls der Zeit“ seien und relevante Themen vertieften. Hinsichtlich des Themas Demokratie kündigte sie an, dass auch die Katholische Aktion gerade an einem Positionspapier arbeite, da dieses Thema derzeit in den verschiedenen Praxisfeldern der Laienorganisation mit großer Relevanz behandelt würde.
Wie auch in den letzten Jahren präsentierten Schüler des tgm – Die Schule der Technik – einen Kurzfilm zum Thema der Tagung und nahmen die Beiträge für eine Dokumentation auf.
Den Hauptvortrag bestritt Hans Schelkshorn, Professor und Vorstand am Institut für Interkulturelle Religionsphilosophie an der Universität Wien zum Thema „Die Kunst, es nicht gewesen zu sein. Rechtspopulismus und die politische Kultur in Österreich“. Schelkshorn führt die Zuhörenden durch die Geschichte – von Hobbes bis Rousseau – um die historischen Wurzeln und Fundamente der liberalen Demokratie zu erläutern. Er schloss an, dass sich Österreich die stabile und nachhaltig funktionierende liberale Demokratie 1945 nicht selbst erkämpft hatte, sondern sie ihr von außen „gegeben wurde“. Auf diese Zeit gehe auch die Österreichische Grundhaltung der „Kunst, es nicht gewesen zu sein“ zurück. Diese sei bis heute im Umgang mit der neorechten Partei und ähnlichen Bewegungen prägend und führe zu Verharmlosung, Personalisierung und Verdrängung im Umgang mit demokratiegefährdendem neorechtem Gedankengut, wie es die FPÖ schon seit den Zeiten Jörg Haiders klar in ihren Wahlprogrammen proklamiert. Schelkshorn erläuterte die Herkunft und Wurzeln des neorechten Gedankenguts bei Alain de Benoist, dem Gründer der Nouvelle Droite. Diese hätte sich von zwei „alten Dogmen“ des Faschismus verabschiedet: 1. dem biologischen Rassismus und 2. der gewaltsamen Beseitigung der Demokratie. Die Menschrechte würde sie auf Grund ihrer Herkunft aus christlichen Grundlagen aber nicht anerkennen. An deren Stelle seien die Ziele eines „Ethnopluralismus“ und einer organischen Demokratie getreten, die die Vermischung der Kulturen ablehne und autoritäre Züge der Demokratie forciere.
Von Le Pen über Jörg Haider bis hin zu Viktor Orbán und Herbert Kickl sind Schritte des Umbaus der Gesellschaft – und der Demokratie – nach diesen oben genannten Maßstäben in den Parteiprogrammen und in der Realpolitik zu lesen. So sprach schon Jörg Haider von einer Dritten Republik und Viktor Orbán setzt ebensolche Schritte für Ungarn erfolgreich um und läutet damit das Ende der liberalen Demokratie ein, die auf den Säulen der Menschenrechte, der Pressefreiheit und der Gewaltenteilung beruht. Nur wenn diese Säulen der liberalen Demokratie unantastbar und mit klarer Haltung von den Parteien, der Presse und Gesellschaft hochgehalten, eingefordert und verteidigt werden, könne dieser Umbau in Österreich trotz des Erstarkens der FPÖ verhindert werden. Sonst wird Österreichisch im Nachhinein wieder die bewährte „Kunst, es nicht gewesen zu sein“ strapazieren.
Nach einer kurzen Pause schloss die Publizistin und langjährige ORF-Auslandskorrespondentin Joana Radzyner mit ihrem Vortrag zu „Polens Weg in die Demokratie“ an. Der Weg durch die Geschichte führte die Besucher:innen vom Kommunismus und dessen Gegenbewegung der Solidarność bis hin zum heutigen Machtkampf zwischen Jarosław Kaczyńskis PiS Partei und Donald Tusks Parteienbündnis, das 2023 die jahrelange Regierung der PiS-Partei ablöste. In den Schilderungen Radzyners fanden sich viele Parallelen zum Vortrag Schelkshorns bezüglich der Gefährdung der Säulen der liberalen Demokratie. Dies benannte auch Donald Tusk, als er seinen politischen Gegner Jarosław Kaczyński als „Totengräber der Demokratie“ bezeichnete. „Seit 20 Jahren,“ so legte Radzyner, die selbst polnische Wurzel hat, dar, tobe „ein innenpolitischer Machtkampf um das Erbe der Solidarność, das sich beide Lager, das nationale wie das liberale, auf die Fahnen heften“. Und ergänzt, dass die Mehrheit der Bevölkerung lange Zeit die Erosion der Demokratie zu Gunsten des Wohlstandes in Kauf genommen hätte. Radzyner schloss mit dem markanten Bild, dass es immer wieder „Magische Momente“ brauche, die etwas verändern, wie der Papstbesuch im kommunistischen Polen oder das Ibiza-Video in Österreich, um die Lethargie der Masse zu durchbrechen.
Der Journalist und Kolumnist Hans Rauscher startete sein Statement „Österreichs neue Realität – die FPÖ ist stärkste Partei“: „Nichts ist umsonst, wenn man sich für Demokratie und Menschenrechte einsetzt. Denn, wenn wir aufgeben, ist alles aus, dann kippt das System, und der Kipppunkt ist schneller erreicht, als man glaubt.“ Rauscher stellte fest, dass die politischen und wirtschaftlichen Strukturkrisen, in denen die EU und Österreich stecken, ein hervorragender Boden für Rechtspopulismus seien, wie das auch vor 100 Jahren der Fall gewesen sei. Auch Rauscher warnte vor der Aushöhlung der liberalen Demokratie in Österreich durch die FPÖ, die durch ihr Parteiprogramm und die Nähe zu Viktor Orbán zeige, dass sie einen raschen Umbau der liberalen Demokratie nach dem Vorbild Ungarns zum Ziel habe, sollte sie in Regierungsverantwortung kommen. Rauscher meinte pointiert, dass er den Eindruck habe, dass die anderen Parteien in Österreich – gerade diese, die zurzeit an einer Koalition bastelten – schlafen und sich ihrer Verantwortung und der Gefahr um das gemeinsame Haus der Demokratie nicht bewusst seien. Er konstatierte, dass es in Österreich einen Grundstock an Menschen gäbe, die für autoritäre Lösungen offen sind. Deswegen sei es umso wichtiger, die Gegenkräfte im Land zu mobilisieren und die Zivilgesellschaft mit ihren Initiativen zu stärken.
Den Abschluss der heurigen KAVÖ-Herbsttagung bildete ein Podiumsgespräch der Vortragenden unter dem Titel „Lebendige Demokratie – aber wie? Perspektiven für Österreich“ mit reger Beteiligung aus der Zuhörerschaft.
Beim Ausklang der Veranstaltung, die als ÖkoEvent Plus auch selbst die gesellschaftspolitische Verantwortung ernst nahm, gingen die lebendigen Diskussionen bei Speis und Trank weiter.
Dokumentation
Technisch begleitet wurde die Tagung von Schüler:innen des tgm in Wien. Sie werden eine Videodokumentation erstellen, die auf dem YouTube-Kanal Vielfalt hat Zukunft/Playlist „Lebt Österreich Demokratie?“ veröffentlicht wird: https://youtube.com/playlist?list=PLjSMV2x4MBawnd6BwaEgH_QXow2ZRuLYD&si=-6JXq0Kk1fFGdH5I
Kurzfilm zum Thema der Tagung: https://youtu.be/LDLp8ZInJYM?si=NRw_z3aFV3yLSq7r
In der Reihe Vielfalt hat Zukunft widmet sich der KAVÖ seit Jahren brennenden Fragen der Gegenwart und Zukunft. Kooperationspartner:innen: Katholische Aktion Österreich (KAÖ), Forum Katholischer Akademiker/innen Österreichs, tgm – Die Schule der Technik.
Gefördert von der Kulturabteilung der Stadt Wien, Wissenschafts- und Forschungsförderung und vom Zukunftsfonds der Republik Österreich. Medienpartnerin: Quart Umweltfreundliche Veranstaltung ÖkoEventPLUS
Fotos: https://www.kavoe.at/galerien/lebt-oesterreich-demokratie-29-11-2024-kardinal-koenig-haus-in-wien/
Terminaviso: Die nächste KAVÖ-Herbsttagung/Vielfalt hat Zukunft findet am 28.11.2025 im Kardinal König Haus in Wien statt.
Zusammenfassung: Mag. Theresa Stampler